Der Frühling ist in Japan die Zeit von Hanami, der jahrhundertealten Tradition, die majestätischen weißen und rosa Blüten der Zierkirschbäume zu bewundern. Hunderttausende Menschen, darunter viele Besucher aus aller Welt, füllen die Parks, um dieses jährliche Fest von enormer kultureller Bedeutung zu feiern. Die Freude an der Schönheit der Natur ist jedoch nur von kurzer Dauer, da Kirschblüten nur wenige Tage halten. Die kurze Lebensdauer der zarten Blüten erinnert den Betrachter daran, den Moment voll und ganz zu genießen, sich mit der Vergänglichkeit aller Dinge abzufinden und die Unvermeidlichkeit des Wandels zu akzeptieren. Hanami ist eine Einladung, Kirschblüten als Metapher für das Leben selbst zu sehen – schön und doch vergänglich.
Kirschblüten sind jedoch auch zu alarmierenden Zeichen besorgniserregender Umweltveränderungen geworden, die nicht einfach hingenommen werden können. Historische Aufzeichnungen der Kirschblütenfeste in Kyoto, die über 1,200 Jahre zurückreichen, zeigen eine zunehmend frühere Blüte seit Beginn des 19.th Jahrhundert, höchstwahrscheinlich verursacht durch die globale Erwärmung infolge der zunehmenden Industrialisierung, und am stärksten ausgeprägt in städtischen Gebieten. Während Kirschbäume in Kyoto früher durchschnittlich Mitte April blühten, ist die Blütezeit heute oft schon Ende März erreicht, mit dem 26.th März 2021 war der früheste Zeitpunkt seit Beginn der Aufzeichnungen. Eine frühe Blüte beeinflusst nicht nur den Zeitpunkt von Hanami, sondern kann auch drastische Folgen für Fruchtbildung und Produktivität haben. Junge Blüten sind anfällig für Kälte, und eine frühe Blüte erhöht das Risiko von Schäden durch Frühlingsfrost. Sollte sich der aktuelle Erwärmungs- und Frühblütetrend fortsetzen, könnten Bäume sogar nicht mehr mit der höchsten Bestäuberaktivität synchron sein, was letztlich die gesamte Ökosystemdynamik stört.
Frühlingsfröste stellen auch für die weltweite Produktion anderer Obstbäume wie Apfel-, Pflaumen- und Pfirsichbäume eine große Herausforderung dar, da die Blüten aller dieser Bäume nach dem Knospenaustrieb sehr empfindlich auf Kälte reagieren. In den letzten Jahren kam es aufgrund frostbedingter Fruchtabfälle zu erheblichen Ertragsverlusten. Zur Anpassung an den Klimawandel sind veränderte Anbaupraktiken und genetische Verbesserungen erforderlich. Bei Kirschbäumen ist der Blütezeitpunkt ein stark vererbbares Merkmal, das zwischen Genotypen stark variieren kann, weshalb die Züchtung auf späte Blüte ein vielversprechender Ansatz ist. Voraussetzung dafür ist ein tiefes Verständnis der zugrunde liegenden Genetik und Physiologie. Der Blütenbeginn erfolgt bei Obstbäumen vom Spätsommer bis zum Herbst. Die Knospen bleiben im Winter ruhend und benötigen eine Kälteperiode, um im Frühjahr austreiben zu können. Ist der Kältebedarf gedeckt, lösen warme Temperaturen die Blüte aus und fördern das Wachstum bis zur vollständigen Blütenöffnung.
Eine detaillierte Studie von Charity Goeckeritz und Kollegen erweitert unser Wissen über die Blütenentwicklung bei Sauerkirschen (Prunus cerasus) und zeigt erstmals, dass der Blütezeitpunkt bereits lange vor dem Beginn der Knospenruhe im Vorjahr festgelegt wird. Die Autoren untersuchten eine Population genetisch eng verwandter Sauerkirschbäume mit Blütezeitunterschieden von bis zu 10 Tagen. Zwei Jahre lang entnahmen sie regelmäßig Proben von Triebspitzen in Blütenstellung, um Früh- und Spätblüher zu vergleichen. Sorgfältige mikroskopische Analysen enthüllten die ersten morphologischen Unterschiede bereits im Juli, wenn die Frühblüher vom vegetativen Wachstum zur Blütenbildung übergingen. Sie blieben den Spätblühern während der gesamten Ruhephase bis zur Blüte entwicklungsmäßig voraus, wobei die Unterschiede zwischen den Gruppen im Frühjahr deutlicher wurden. Frühblüher benötigten außerdem weniger Kälte und reagierten schneller auf warme Temperaturen, was auf eine flachere Ruhephase hindeutet. Pflanzenhormone sind bekanntermaßen wichtige Komponenten des Temperatursensormechanismus, und interessanterweise ergaben genetische Analysen mehrere an der Hormonsynthese beteiligte Enzyme unter den wichtigsten Kandidatengenen, die den Unterschieden im Blütezeitpunkt zugrunde liegen. Die Daten zeigen auch, dass die für eine späte Blüte verantwortlichen Genversionen vermutlich von der sehr spät blühenden Andenbeere (Prunus fruticose), einer der Vorfahren der Sauerkirsche.

Die in den letzten Jahren beobachtete Verschiebung der Blütezeit sollte das öffentliche Bewusstsein für die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels schärfen und Verhaltensänderungen anstoßen, um die Überhitzung des Planeten zu stoppen und so auch künftigen Generationen die vielfältigen Vorzüge des Kirschbaums zu ermöglichen. Gleichzeitig bedarf es gemeinsamer Anstrengungen von Forschern und Züchtern, um Bäume zu züchten, die besser an zukünftige Temperaturbedingungen angepasst sind. Die von Goeckeritz und Kollegen vorgestellte Studie ebnet den Weg für markergestützte Züchtungsstrategien. Basierend auf ihrer detaillierten Gewebeanalyse haben die Autoren zudem ein neues Stadiensystem zur Beschreibung des Übergangs vom vegetativen zum reproduktiven Wachstum bei Obstbäumen entwickelt, das zukünftige Studien früher Entwicklungsprozesse bei anderen Arten ermöglichen wird.
DER ARTIKEL::
Goeckeritz, CZ, Grabb, C., Grumet, R., Iezzoni, AF und Hollender, CA, 2024. Genetische Faktoren, die vor der Ruhephase bei Sauerkirschen wirken, beeinflussen den Blütezeitpunkt im folgenden Frühjahr. Zeitschrift für experimentelle Botanik, 75(14), pp.4428-4452. https://doi.org/10.1093/jxb/erae157
Mareike Jezek
Dr. Jezek ist stellvertretender Herausgeber des Journal of Experimental Botany, einer der offiziellen Zeitschriften der Gesellschaft für Experimentelle Biologie.
Titelbild: Kirschblüten (Prunus cerasus) durch Jacek Halicki (Wikimedia Commons)
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